Waldorfpädagogik
Haltung & wesentliche Prinzipien
Die Waldorfpädagogik wurde um 1919 von Rudolf Steiner entwickelt, als er im Auftrag von Emil Molt, Besitzer der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart, den Lehrplan für die erste Waldorfschule erarbeitete. Inzwischen gibt es mehr als 1250 Waldorfschulen in über 60 Ländern. Im Folgenden erhalten Sie Einblick in die Haltung, Methoden und wesentliche Prinzipien.
Der ganze Mensch
Im Unterricht wird der ganze Mensch in Aktivität gebracht. Nicht nur der Kopf mit all seinen Denkprozessen, sondern auch die Gefühle und Empfindungen werden wahrgenommen. Der Körper wird durch Bewegungselemente angeregt und stimuliert.
Beziehungsgestaltung
Die Kinder sind ab der ersten Klasse bis zum Ende ihrer Schulzeit auf der Freien Waldorfschule Hof in der gleichen Klassengemeinschaft und haben bis zur 8. Klasse in der Regel einen festen Klassenlehrer. Daher wird auf die Gestaltung der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler sowie zwischen Lehrer und Eltern und den Kindern untereinander großen Wert gelegt. Die Beziehung bildet die Grundlage für die Gemeinschaftsfähigkeit eines Menschen. In einer Klassengemeinschaft wird u.a. Verbindlichkeit, Konfliktfähigkeit, Frustrationstoleranz, Selbstreflexion, Kooperationsfähigkeit und Mitgefühl geschult. Der Lehrer bringt sich selbst in die Erziehungsprozesse mit ein und sieht sich als wirksames Element im Geschehen. Durch Selbstreflexion bleibt er selbst beweglich und schafft dadurch eine natürliche Autorität.
„Das Kind in Ehrfurcht aufnehmen, in Liebe erziehen und in Freiheit entlassen.“
Rudolf Steiner
Entwicklung
Das Kind befindet sich in einem ständigen Entwicklungsprozess. In der Waldorfpädagogik gehen wir von Sieben-Jahres-Schritten aus, die durch Übergänge (z.B. Zahnwechsel, Pubertät) markiert sind. Im Rahmen dieser Entwicklung verfeinern sich die eigenen Fähigkeiten, das Selenleben wird reifer und die Kräfte wachsen. Trotzdem ist Entwicklung immer individuell und wird vom Lehrer genau beobachtet, um entsprechende Hilfestellung zu bieten.
Das Kind hat Zeit, sich bei uns individuell zu entwickeln und sein Wesen zu entfalten.
Altersentsprechender Unterrichtsstoff
Die seelische Reife und die persönliche Erfahrungswelt müssen zum angebotenen Unterrichtsinhalt passen. Daher werden die verschiedenen Entwicklungsstufen berücksichtigt und der passende Inhalt, zur richtigen Zeit angeboten.
Methodenvielfalt
- Im Unterricht einen Erlebnis- und Erfahrungsraum für die Sinne schaffen
- Gedächtnisschulung durch Wiederholungen (Abläufe, musikalische und Rhythmische Reime)
- Sprach- und Sprechbildung durch Aufsagen, Erzählen und Zuhören
- Bildhafter Unterricht, damit im Kind ein Bild entsteht (Gestaltung von Tafelbildern, bildhafte Beschreibungen von Situationen und Erzählungen)
- Wert auf Ästhetik (Gestaltung von Klassenräumen, Materialien und Farben)
- Rhythmus als Gestaltungselement (Ruhe- und Bewegungsphasen)
- Geschicklichkeitsübungen um den eigenen Bewegungsapparat zu verfeinern und den Körper auszufüllen
- Musikalische Elemente, die das Kind aus sich herausbringen
- Zeichnerische Elemente, die das Kind in die Vertiefung, zu sich selbst führen
Waldorfpädagogik
Ein Blick in die 1. Klasse
Der Schulvormittag teilt sich in Hauptunterricht (HU) mit dem Klassenlehrer und Fachunterricht.
Im HU findet der Epochenunterricht statt. Eine Epoche dauert zwischen drei bis fünf Wochen und befasst sich mit der Zeichen- und Formenlehre, Schreiben oder Rechnen.
Zum Fachunterricht zählen von der ersten Klasse an Französisch und Englisch. Der Fremdsprachenunterricht konzentriert sich auf musikalische Elemente und Bewegungsspiele, um eine annähernd muttersprachliche Aussprache zu schulen. Musik, Handarbeit, Malen & Plastizieren, Spielturnen und Religion sind feste Elemente im Stundenplan.
Ablauf eines Schulvormittages:
Hauptunterricht
Begrüßung und Erstbegegnung mit rhythmischen Elementen, wie Singen und Musizieren
Unterrichtsinhalt
Erzählelement (Märchen)
Bewegte Pause draußen auf dem Schulgelände
Fachunterricht
Waldorfpädagogik
Ein Blick in die 2. Klasse
Die Kinder sind nun richtige Schulkinder geworden. Auch in der zweiten Klasse spielt das gemeinsame Tätigsein aus der Nachahmung noch eine große Rolle, doch wird nun das Individuelle stärker erlebbar.
Zentrales Thema beim Formenzeichnen sind die Symmetrieformen an senkrechten und waagerechten Spiegelachsen.
Im Schreiben & Lesen werden jetzt die kleinen Druckbuchstaben eingeführt, auch die Einführung der Schreibschrift kann nun erfolgen.
Erste Rechtschreibübungen wie das auswendige Schreiben leichter Wörter passen dazu.
Im Rechnen wird das kleine Einmaleins maximal bis zur 12er-Reihe erarbeitet. Weiterhin gibt es die Übungen im Kopfrechnen, sowie das Unterscheiden der Primzahlen von den normal teilbaren Zahlen.
Im Erzählteil zum Abschluss des Hauptunterrichts geht es nun um Fabeln, Legenden (z. B. über das Leben von Franziskus von Assisi) und Märchen aus fremden Ländern.
Hauptunterricht: Rechnen, Schreiben, Formenlehre,
Fächer: deutsche Zeitformen, Heimatkunde, Mensch- und Tierkunde (Biologie), Französisch, Englisch, Musik, Handarbeit, Malen und Plastizieren, Turnen und Religion.
Waldorfpädagogik
Ein Blick in die 3. Klasse
Im Alter von 9 bis 10 Jahren befinden sich die Kinder gemäß der Waldorfpädagogik im Entwicklungsschritt des „Rubikon“. Hierbei erleben sich die Kinder noch stärker als Individuum und beginnen sich vom Erleben her von der Welt zu trennen. Daran orientiert sich auch der Unterrichtsstoff.
Fächer: Bruchrechnen, deutsche Zeitformen, Heimatkunde, Mensch- und Tierkunde (Biologie), Französisch, Englisch, Musik, Handarbeit, Malen und Plastizieren, Turnen und Religion.
Waldorfpädagogik
Ein Blick in die 4. Klasse
Das Jahresthema in der 4. Klasse sind die Germanen. In verschiedenen Projekten und Kleingruppenarbeiteten wird die germanische Kultur, Gebräuche und Mythologie für die Kinder erfahrbar gemacht und mit unserer heutigen Lebensweise verglichen.
Hauptunterricht: Mathematik, Deutsch, Heimatkunde, Tierkunde
Fächer: Französisch, Englisch, Musik, Handarbeit, Malen und Plastizieren, Turnen und Religion.
Waldorfpädagogik
Ein Blick in die 5. Klasse
In der 5. Klasse geht es um das Erwachen der individuellen Fähigkeiten und das Staunen über die Welt. Die Kinder stehen in der Mitte ihrer Kindheit und erleben eine natürliche Harmonie zwischen Körper und Geist.
Inhaltlich reisen sie durch die frühen Hochkulturen Indiens, Persiens, Ägyptens und Griechenlands. Besonders die griechische Mythologie und die ersten Olympischen Spiele prägen das Jahr. In der Botanik erforschen sie die Pilz- und Pflanzenwelt, während in der Mathematik Bruchrechnung und Geometrie ihren Platz finden.
Handwerkliche, künstlerische und musikalische Tätigkeiten begleiten den Schulalltag und fördern Geschicklichkeit und Ausdruckskraft. Bewegung spielt eine große Rolle – sei es in der Eurythmie, beim Sport oder in den rhythmischen Elementen des Unterrichts.
Fächer im Hauptunterricht: Deutsch, Mathematik, Geometrie, Geschichte, Biologie, Geografie,
Fachunterricht: Französisch, Englisch, Musik, Handarbeit, Malen und Plastizieren, Gartenbau, Turnen und Religion.
Waldorfpädagogik
Ein Blick in die 6. Klasse
Die Kinder entwickeln ein stärkeres Bewusstsein für Regeln, Strukturen und klare Gesetzmäßigkeiten. Sie erleben die Welt nicht mehr nur staunend, sondern wollen sie verstehen und ordnen.
Inhaltlich stehen daher Themen im Mittelpunkt, die Klarheit und Gesetzmäßigkeit vermitteln. In der Physik werden Optik, Akustik und Magnetismus erforscht, während in der Geometrie exakte Konstruktionen mit Zirkel und Lineal Einzug halten. Die Römerzeit prägt das Geschichtsjahr – mit ihrer Disziplin, ihrem Rechtssystem und ihren Eroberungen.
Ein weiteres zentrales Thema ist die Gesteinskunde. Die Schüler lernen die Entstehung und den Aufbau verschiedener Gesteinsarten kennen und entdecken geologische Prozesse, die die Erde formen. Durch eigenes Forschen und Sammeln erleben sie die Vielfalt der Mineralien und ihre Bedeutung für die Natur und den Menschen.
Die 6. Klasse ist eine Zeit des Übergangs – zwischen Kindheit und Jugend, zwischen spielerischem Lernen und bewusstem Erforschen.
Fächer im Hauptunterricht: Deutsch, Mathematik, Geometrie, Geschichte, Biologie, Geografie, Physik
Fachunterricht: Französisch, Englisch, Musik, Handarbeit, Malen und Plastizieren, Turnen und Religion.
Waldorfpädagogik
Ein Blick in die 7. Klasse
Die Entdeckungs- und Eroberungsfahrten und die Reformation zu Beginn der Neuzeit, die Entwicklung der mathematischen Physik durch Galilei oder das Rechnen mit Buchstaben in der Algebra – es ist der Aufbruch in Neuland, den die Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse jetzt vollends mit dem Eintritt in die Pubertät erleben. Es ist die richtige Zeit, sich mit Schwangerschaft, zwischenmenschlichen Beziehungen und Sexualität zu beschäftigen.
Das Malen wird zum Schwarz-Weiß-Zeichnen und zum geometrischen Konstruieren der Zentralperspektive. Als neues Fach untersucht die Chemie die Tendenzen zu Verwandlung und Veränderung der Stoffe.
Fächer im Hauptunterricht: Deutsch, Mathematik, Geometrie, Geschichte, Biologie, Geografie, Physik und Chemie.
Fachunterricht: Französisch, Englisch, Musik, Handarbeit, Malen und Plastizieren, Sport und Religion.
Waldorfpädagogik
Ein Blick in die 8. Klasse
Das vorrangige Entwicklungsthema in der 8. Klasse ist die Pubertät in all ihrer schönen Vielfalt. Der Wunsch nach mehr Freiräumen, Austesten von Grenzen und das Bedürfnis nach Mitsprache beeinflussen das Klassengeschehen.
In der 8. Klasse ist der Klassenlehrerabschluss und das Klassenspiel. Hierbei studiert die ganze Klasse ein Theaterstück ein, welches im Frühling auf großer Bühne präsentiert wird.
In diesem Schuljahr erstellen die Schüler auch eine Jahresarbeit, in der sie sich in ein selbstgewähltes Thema einarbeiten und dieses präsentieren.
Fächer im Hauptunterricht: Deutsch, Mathematik, Geometrie, Geschichte, Biologie, Geografie, Physik und Chemie.
Fachunterricht: Französisch, Englisch, Musik, Handarbeit, Malen und Plastizieren, Sport und Religion.
Waldorfpädagogik
Ein Blick in die Oberstufe 9.-13. Klasse
Die Oberstufe (9.–13. Klasse) in der Waldorfschule
In der Oberstufe beginnt für die Jugendlichen eine Zeit des inneren Aufbruchs. Sie setzen sich zunehmend kritisch mit der Welt auseinander und suchen nach Orientierung und eigenen Standpunkten. Die Unterrichtsinhalte begleiten diese Entwicklung, indem sie tiefere Erkenntnisse ermöglichen und eigenständiges Denken fördern.
In der 9. Klasse steht das Thema Polarität im Mittelpunkt. Die Schüler erleben Kontraste in der Kunst, Physik (z. B. Elektrizität, Mechanik) und Literatur. Sie setzen sich mit biografischen Themen auseinander und erproben sich in einem dreiwöchigen Landwirtschaftspraktikum.
In der 10. Klasse geht es um Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge. Die Schüler vertiefen ihr naturwissenschaftliches Verständnis, setzen sich mit historischen Entwicklungen auseinander und absolvieren ein Wirtschaftspraktikum.
Die 11. Klasse steht im Zeichen der Sinnsuche. Philosophische Fragen, große Literatur und vertiefte Wissenschaften fordern das eigenständige Denken heraus. Im Sozialpraktikum erfahren die Jugendlichen den Wert menschlicher Verantwortung.
Zudem gestalten die Schüler eine eigene Jahresarbeit, führen ein Theaterstück auf und präsentieren ihre erworbenen Fähigkeiten in Projekten und Kunstwerken.
Ab der 12. Stufe teilt sich die Klasse in die 12R, die sich intensiv auf die mittlere Reife vorbereitet und die 12A, auf dem Weg zum Abitur. Naturwissenschaftliche, künstlerische und geisteswissenschaftliche Arbeiten fließen hier zusammen.
In der 13. Klasse erfolgt eine bewusste Vorbereitung auf das Abitur. Reflexion, Vertiefung und individuelle Schwerpunkte prägen das letzte Schuljahr.
Begleitet von künstlerischem, praktischem und wissenschaftlichem Arbeiten entwickelt sich in der Oberstufe eine umfassende Reife – hin zu selbstständigen, reflektierten jungen Erwachsenen.
Waldorfpädagogik
Schulweg & staatliche Abschlüsse
Die Freie Waldorfschule Hof ist eine einzügige Gesamtschule ohne Sitzenbleiben und ohne Übertritt. Sie bietet seit vielen Jahren alle staatlichen Abschlüsse an. So gehen alle Schüler ab der ersten Klasse ihren Schulweg gemeinsam bis in die Oberstufe. Erst im Alter von ca. 15 Jahren legen sie sich auf
- Mittlere Reife nach der 12. Klasse oder das
- Bayerische Abitur nach der 13. Klasse fest.
In der 10. Klasse haben die Schüler zudem die Möglichkeit, den qualifizierenden Hauptschulabschluss abzulegen. Sie werden dann noch immer teilweise im Klassenverbund aber auch in abschlussspezifischen Gruppen, vorbereitet. Ab der 12. Jahrgangsstufe wird die Klasse in 12R für mittlere Reife und 12A für das bayerische Abitur aufgeteilt. Schüler, die das Abitur machen wollen, werden darauf noch ein weiteres Jahr in der 13. Klasse vorbereitet.
Die Abschlussprüfungen werden jeweils an kooperierenden staatlichen Schulen abgenommen.
Nach der 11. Klasse erwerben die Schüler den Waldorfabschluss.
Infomaterial & Links
Instagram Freie Waldorfschule Hof
Waldorfkindergarten Hof www.waldorfkindergarten-hof.de
Waldorf in Bayern – www.waldorf-bayern.de – interessante Termine
Bund der Freien Waldorfschulen e.V. – www.waldorfschule.de
Freunde der Erziehungskunst Rudolph Steiners e.V. – www.freunde-waldorf.de – Waldorf weltweit, weiterführende Literatur, interessante Projekte, u.v.m.
Erziehungskunst – www.erziehungskunst.de – Magazin zur Waldorfpädagogik
Waldorf 100 – www.waldorf-100.org
Stuttgarter Erklärung – Waldorfschulen gegen politischen Extremismus, Rassismus und Diskriminierung